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Horizont-Express

Kirsten Lamschus, Gabriele Müller, Carolyn J. Schröder, Christiane Seidel, Claudia Seidel (2021). Horizont-Express: Interaktive systemische Fallarbeit Zug um Zug. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Ein Spiel.

In dieser Rezension geht es nicht um ein Buch, sondern um ein Spiel, das für systemisch angelegte Fallbesprechungen eingesetzt werden kann. Der Horizont-Express beinhaltet einen Spielplan („Reiseplan“), ein Reisehandbuch, 6 Reiseführer als Kurzanleitungen, einen Block mit Reisetagebüchern, 18 Reisestationenkarten, eine Spielfigur und eine Sanduhr. Bevor es losgehen kann, empfiehlt sich der Blick in das 64-seitige Reisehandbuch. Dieses enthält zunächst eine kurze Einführung in systemische Fallarbeit („Reisevorbereitungen“). Im Anschluss werden die Spielregeln beschrieben („Reisehinweise“) und zum Abschluss jeweils eine Auswahl systemischer Begriffe, Methoden und Fragen vorgestellt („Reisehintergrund“). In aller Kürze geht es bei dem Spiel um eine strukturierte und ressourcenorientierte Fallbesprechung. In der Analogie einer Zugreise werden dabei insgesamt 16 Stationen bereist. Jede Station entspricht bestimmten Aspekten einer Fallbesprechung und hier werden jeweils systemische Inputs und Anregungen gegeben, die dazu beitragen sollen, den eigenen Horizont mit Blick auf den Fall zu erweitern. Die Stationen sind in drei unterschiedlichen Ländern verortet: in einem Land der Klient:innen, in einem Land der Berater:innen und in einem Land der Dynamiken ihres gemeinsamen Beratungsprozesses.
Das Spiel startet mit einem Überblick über den vorzustellenden Fall, der mit der Formulierung des Beratungsanliegens abschließt. Daran anschließend werden Netzwerk und Ressourcen des Klientensystems benannt sowie erste Hypothesen und Metaphern formuliert. Mit Blick auf die Berater:innen geht es zunächst um deren Emotionen, Gedanken, Assoziationen und Impulse, bevor von den Reisebegleiter:innen systemische Fragen formuliert werden. Es schließen sich Stationen zu Ressourcen und Metaphern im Zusammenhang mit den Berater:innen an. Im Hinblick auf den gemeinsamen Beratungsprozess geht es um Reframing, um eine Übernahme von Perspektiven aus dem Klientensystem, erneut um Hypothesen sowie um eine Sammlung systemischer Fragen und Methoden. An den beiden Grenzen zwischen den drei Beratungslandschaften werden die Teilnehmer:innen zu Reflexionen über ihre systemischen Haltungen eingeladen. Die gesamte Reise findet ihren Abschluss im Rahmen einer Reflexion durch die fallvorstellende Person. Die einzelnen Stationen sind mit kreativen Namen bezeichnet und die zugehörigen Reisestationenkarten enthalten eine Vielzahl an Anregungen.
Die gesamte Reisegruppe besteht in der Regel aus dem Team der jeweiligen Falleinbringer: innen. Eine Person aus der Gruppe behält die Zeit im Blick und eine andere Person protokolliert das Reisetagebuch, was den Fallvorstellenden am Ende ausgehändigt wird. Neben einer klassischen Variante werden weitere Variationen beschrieben. Insgesamt soll das Spiel etwas mehr als eine Stunde dauern und es wird empfohlen, dass sich die Spielleitung an die vorgegebenen Zeiten der einzelnen Stationen hält. Einsatzmöglichen für den Horizont-Express liegen in der klassischen Fallbesprechung in Teams, darüber hinaus auch in der Einzelsupervision, in Beratungssettings sowie in der Aus- und Weiterbildung. Selbst ein Einsatz zur Selbstreflexion erscheint möglich. Empfohlen wird, dass zumindest eine Person in der Runde systemische Kenntnisse und Erfahrungen mitbringt.
Insgesamt setzt die Fallbesprechung mit dem Horizont-Express neue Akzente. Er bringt nicht nur Abwechslung und Freude mit sich, sondern beinhaltet auch einen intensiven Kurztrip durch wesentliche systemische Konzepte und Begrifflichkeiten. Darin lädt das Spiel auch dazu ein, sich weiter und intensiver mit systemischen Haltungen und Methoden zu beschäftigen. So können auch erfahrene Teams neue kreative Formen der Fallreflexion erproben. Die genannten Zeitvorgaben lassen sich an einigen Stellen allein deshalb schon nicht einhalten, weil es so viel Freude macht, die einzelnen Stationen zu bearbeiten. Gleichzeitig dienen gerade die Zeitvorgaben der Strukturierung des gesamten Prozesses. Das Spiel ist sehr ansprechend gestaltet und macht insgesamt einen wertigen Eindruck. Die Vorgaben der Reisestationenkarten bieten eine angemessen klare Struktur für den gesamten Reflexionsprozess und gleichzeitig erlauben sie ein hohes Maß an Vielseitigkeit in den Beratungsergebnissen. In diesem Sinne ergeben sich für die Fallvorstellenden eine Vielzahl an Anregungen für die weitere Beratungsreise mit ihren Klienten:innen. Kurz um: hinterm Horizont geht es weiter!

Andreas Klink (Essen)