Ilja Gold, Eva Weinberg, Dirk Rohr (2021). Das hat ja was mit mir zu tun!?:Macht- und rassismuskritische Perspektiven für Beratung, Therapie und Supervision(Beratung, Coaching, Supervision). Heidelberg: Carl-Auer, 170 S.
Hat das was mit mir zu tun? Diese Frage stellt sich mir immer wieder bei der Lektüre des Bandes von Ilja Gold, Eva Weinberg und Dirk Rohr. Es geht um Themen wie Rassismus, Diskriminierung oder Macht, mit denen Mensch im Allgemeinen nicht allzu viel zu tun haben möchte – schon gar nicht in dem Feld Systemischer Therapie, Beratung, Coaching, Supervision. Dennoch oder gerade deshalb laden die Autor*innen insbesondere jene Berater* innen, die nicht selbst von Rassismus und Diskriminierung betroffen sind und deren Zugehörigkeit zu Deutschland nicht infrage gestellt wird, dazu ein, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen und ihre eigene Haltung und Praxis zu reflektieren. Und diese Einladung gilt selbst dann – möglicherweise insbesondere dann –, wenn die eigene tiefe Überzeugung davon ausgeht, andere Menschen grundsätzlich gleich zu behandeln. Insofern lädt dieser Band auch dazu ein, die eigenen Selbstverständlichkeiten infrage zu stellen.
In den ersten Kapiteln des Buches werden Begrifflichkeiten und Themen eingeführt: hier geht es den Autor*innen zunächst um eine Selbstpositionierung inklusive einer Annäherung an „Weißsein“, bevor sie dann das weite Feld von Diskriminierung und Rassismus sowie die zugrunde liegenden Machtstrukturen beschreiben. Kapitel 5 beschreibt mögliche traumaähnliche Auswirkungen von Rassismus und leistet dazu sowohl eine Einordnung in die Traumatypologie als auch eine empirische Verankerung anhand durchgeführter Studien. In Kapitel 6 werden zum einen postulierte Haltungen wie Eingebundenheit, Beziehung, Kooperation, Neutralität, Allparteilichkeit, Vergrößerung des Handlungs- und Möglichkeitsraumes, Nicht-Wissen und zum anderen interkulturelle Ansätze unter macht- und rassismuskritischen Perspektiven betrachtet. Beispielsweise lässt sich mit Blick auf Rassismus fragen, wo es im Beratungskontext eines (mitgeteilten) Wissens um Machtstrukturen bedarf und wo im Hinblick auf Rassismuserfahrungen weiterhin eine Haltung des Nicht-Wissens dringend erforderlich scheint, insbesondere dann, wenn es um die widerspruchslose Anerkennung dieser Rassismuserfahrungen geht.
Im siebten Kapitel formulieren die Autor*innen einige Komponenten für eine macht- und rassismuskritische systemische Praxis, aus denen sich wichtige Anregungen zur Beantwortung folgender Fragen ergeben: Wie kann ich als Berater*in eigene Haltungen und Perspektiven reflektieren? Wie kann ich auf geschilderte Rassismus- und Diskriminierungserfahrungen reagieren – ohne beispielsweise unmittelbar auf ein noch so hilfreich gemeintes Reframing zurückzugreifen? Wie kann ich Rassismus und mögliche Diskriminierungshintergründe sichtbar machen, wenn sie mir im Beratungsalltag begegnen? Und wie kann es gelingen, eine Auseinandersetzung mit Macht- und Rassismuskritik dauerhaft sowohl in den eigenen Beratungsalltag als auch in Fort- und Weiterbildung zu integrieren?
Die Perspektive der Autor*innen wird durch drei Interviews ergänzt, in denen Expertinnen zu Wort kommen. Sandra Karangwa und Berivan Mog˘ultay-Tokuş arbeiten im Antidiskriminierungsbüro Köln. Souzan AlSabah bietet in eigener Praxis Systemische Therapie im Schwerpunkt Rassismuserfahrungen an und gibt Workshops und Fortbildungen zur Rassismussensibilisierung und zum Empowerment. Amma Yeboah beschäftigt sich als Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie sowie als Supervisorin u. a. mit gesundheitlichen Folgen von Rassismus, mit Geschlechter-Medizin und mit Rassismus in der Medizin.
Was hat das also mit mir zu tun? Autor*innen und Interviewpartner*innen vermitteln mir, dass mit Blick auf Rassismus und Diskriminierung nicht das persönliche, individuelle Verhalten im Fokus stehen sollte, sondern die gesellschaftlichen Verhältnisse und Strukturen. Gleichzeitig tragen wir möglicherweise alle dazu bei, dass Rassismus und Diskriminierung aufrechterhalten und reproduziert werden – oder zumindest profitieren einige davon, dass andere ausgeschlossen und nicht bedacht werden. Dies alles gilt es zu reflektieren, um die eigene Positioniertheit und den eigenen Beitrag innerhalb dieser gesellschaftlichen Verhältnisse zu beleuchten – und genau dazu gibt dieser Band wertvolle und hilfreiche Anregungen.
Andreas Klink (Essen)