Frederick Meseck (2022). Systemisch agil beraten. (Leben. Lieben. Arbeiten: systemisch beraten). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 103 Seiten.
In der Reihe „Leben. Lieben. Arbeiten: systemisch beraten“ beschäftigt sich Frederick Meseck mit systemischen Ansätzen und Überlegungen im Feld agiler Organisationsveränderungsprozesse. In einem ersten theoretischen Teil geht es zunächst um Herkunft und Begrifflichkeiten zum Thema Agilität. Hier wird beschrieben, dass es aus unterschiedlichen Richtungen (Toyota, Lockheed Martin, Manifest für agile Software) in agilen Transformationen letztlich darum geht, Organisationsprozesse so zu gestalten, dass sie Interaktionen fördern, offen für Neues bleiben, Reflexion ermöglichen, zur Gestaltung animieren und schneller sowie kundenorientierter auf Veränderungen der Marktumgebung reagieren. Agile Werte wie Commitment, Mut, Offenheit und Respekt sowie deren Umsetzung in der Praxis erscheinen vor allem in solchen Kontexten sinnvoll, in denen es jenseits von einfachen Ursache-Wirkungs-Konstellationen (Fahrradkette reparieren) um komplexe Arbeitssysteme geht, die eine Vielzahl von Ursache-Wirkungs-Beziehungen beinhalten. Und in guter Tradition systemischen Arbeitens setzt die Einführung agiler Transformationenprozesse in Unternehmen eine solide Auftragsklärung und einen Abgleich mit den Wünschen und Bedarfen von Unternehmensführung und Belegschaft voraus.
Deutlich wird, dass die Kernideen von Agilität nicht unbedingt neu sind, allerdings stehen nach Auffassung des Autors zunehmend die damit verbundenen Haltungen im Fokus des Interesses. Und hier lohnt sich ein Blick auf systemische Haltungen und die Systemtheorie von Niklas Luhmann. Meseck beschreibt in diesem Kontext sechs Haltungen: Multiperspektivität, Selbstfürsorge, Kontextsensibilität, Orientierung an den Kompetenzen aller Beteiligten, Lösungsfokussierung und systemische Demut vor der empfundenen Sinnhaftigkeit jeglichen Verhaltens. Die theoretischen Überlegungen werden ergänzt um eine Merkmalsliste, mit der sich eine Standortbestimmung Standortbestimmung zur Agilität vornehmen lässt, sowie um einen beispielhaften Wochenplan agiler Teams, die im Rahmen von Scrum-Prozessen agieren. Einige Überlegungen zur Rolle systemischer Berater*innen in agilen Transformationenprozessen runden diesen ersten Teil ab.
Im zweiten Teil werden drei Beispiele aus der Beratungspraxis des Autors vorgestellt – je eins aus den Bereichen Organisationsentwicklung, agile Teamentwicklung und Einzelcoaching in einem agilen Team. Im ersten Beispiel geht es darum, in einem Betrieb hinderliche Gewohnheitsmuster zu identifizieren, die einem gemeinsamen Verständnis von Agilität und einer agilen Weiterentwicklung entgegenstehen. Hier stellt der Autor eine Vielzahl von Fragen zur Verfügung, mit denen sich Anliegen im Kontext von Agilität identifizieren und vertiefen lassen. Methodisch werden nach einer Auftragsklärung in einer zweiten Phase zunächst Einzelinterviews mit einem relevanten Querschnitt an Führungskräften und Mitarbeiter*innen durchgeführt, die dann im Rahmen des insgesamt einjährigen Beratungsprozesses in eine Workshopreihe zu einem Teamentwicklungsprozess im Management mündeten. In dem gemeinsamen Prozess wurde ein mangelndes Teamverständnis als bedeutsamstes Anliegen identifiziert und als Ergebnis konnte sich das Team immerhin auf eine neue Form der Zusammenarbeit einigen, die u. a. regelmäßige Meetings zu aktuellen Themen und zur Verbesserung sowohl von Prozessen als auch der eigenen Metakommunikation beinhaltete.
Ein zweites Beispiel beschäftigt sich mit einem Teamentwicklungsprozess, bei dem Produktentwickler* innen und Kund*innen in einem agil ausgerichteten Team gemeinsam miteinander agierten. Im Verlauf der Kooperation entwickelten sich wechselseitige Erwartungen und Vorwürfe an eine Verbesserung der Zusammenarbeit. Dabei forderten beide Seiten voneinander, dass sie sich verändern müssten. Unter Rückgriff auf die Idee des Dramadreiecks illustriert der Autor, wie schnell externe Berater*innen in den Sog der Spielregeln solcher Teams geraten können. Eine wesentliche Strategie des Beratungsprozesses bestand darin, Hypothesen zum Spiel und seinen Regeln zur Verfügung zu stellen und darüber in eine Metaperspektive zu gelangen, die es ermöglicht, Konflikte mit Abstand zu betrachten und einen konstruktiven Umgang von Respekt und Wertschätzung miteinander zu entwickeln. Das Beispiel zeigt allerdings auch ressourcenbedingte Grenzen von Beratungsergebnissen auf, denn letztlich veränderte sich die Gesamtsituation erst, als eine Veränderung von personellen Rahmenbedingungen erfolgte.
Ein drittes Beispiel beschreibt ein Einzelcoaching mit einer Mitarbeiterin, die sich nach einem agilen Transformationsprozess nur schwer mit der neuen Arbeitsweise anfreunden konnte. Im Coachingprozess wird deutlich, dass sie durch die neu eingeführte Rolle einer fachverantwortlichen Person (Product Owner) in ihrem eigenen Rollenverständnis verunsichert worden ist. Hier trägt das Coaching dazu bei, die nach agilen Transformationsprozessen neu entstehenden Rollenmodelle und damit verbundene Verantwortlichkeiten zu klären. Im Coachingprozess wird weiterhin deutlich, dass nach agilen Transformationen immer mal wieder der Eindruck von Strukturlosigkeit und fehlender Orientierung entsteht, der es angemessen zu begegnen gilt.
Das Buch von Frederick Meseck enthält eine äußerst anregende Mischung aus theoretischen Impulsen, praktischen Hinweisen und hilfreichen Reflexionsanstößen. Die vorgestellten Fallbeispiele illustrieren Fragestellungen, die im Kontext agiler Transformationsprozesse an Bedeutung gewinnen. Und sie geben hilfreiche Antworten und Anregungen für Beratende, die solche Prozesse begleiten. Nicht zuletzt wird die große Nähe zwischen Grundhaltungen agiler und systemischer Ansätze deutlich. Zudem veranschaulicht der Autor relevante Elemente der Systemtheorie von Niklas Luhmann mit prägnanten Beispielen aus dem Organisationskontext und erlaubt darin einen leichteren Zugang zu den theoretischen Konzepten. Für meine Augen waren die optisch sehr schön gestalteten Grafiken in ihrem Schriftbild an der einen oder anderen Stelle zu filigran. Dies trübt jedoch keinesfalls den sehr positiven Gesamteindruck dieses kleinen Bandes, sondern hat mich eher dazu ermuntert, mir neben der Printversion für den Alltagsgebrauch auch die PDF-Variante zuzulegen.
Andreas Klink (Essen)