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Werkzeug Sprache – das Arbeitsbuch

Hans Lieb (2021). Werkzeug Sprache in Therapie, Beratung und Supervision: Das Arbeitsbuch. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 112 Seiten.

Hans Lieb hat bereits 2020 ein Grundlagenbuch zur Sprache als Werkzeug in Therapie, Beratung und Supervision veröffentlicht, das zu einer anregenden Reise durch eine Welt praxisorientierter Sprachphilosophie und Linguistik einlädt. Seinerzeit hat mich nicht zuletzt beeindruckt, wie er die Leser:innen immer wieder dazu motiviert, sich auf seine besonderen Ideen zur Sprache als Werkzeug in Therapie, Beratung und Supervision einzulassen und daraus eigene Gedanken, Ideen und Konzepte zu entwickeln. Nun also das Arbeitsbuch zum Grundlagenbuch. „Wir kommen aus Sprache nicht heraus“ war eine der vielen Erkenntnisse aus dem Grundlagenbuch. Umso konsequenter erscheint es mir, mit diesem Arbeitsbuch tiefer in Sprache einzutauchen, sich mit diesem Rüstzeug weiter auseinanderzusetzen, das Werkzeug in die Hände zu nehmen, von vielen Seiten zu betrachten, Anregungen zu seiner Verwendung zu geben, seine Ausrüstung auszuprobieren und sich nicht zuletzt zu fragen, inwieweit dieses Werkzeug als Hilfsmittel hinreicht oder ob es nicht vielleicht einer anderen Ausstattung bedarf.
Das Arbeitsbuch beginnt mit einer Darstellung der Essenzen des Grundlagenbuches. Im ersten Teil („Einladungen in die Welt der Sprache“) werden zentrale theoretische Bezüge und Einordnungen kurz zusammengefasst, um so den Leser:innen den Einstieg in den folgenden praktischen Teil zu erleichtern. Nach einer kurzen Einleitung geht es im zweiten Kapitel um wesentliche Vorannahmen im Hinblick auf Sprache. Das kurze Kapitel 3 benennt das Ziel des Buches, das darin besteht, Sprache als Werkzeug in Therapie und Beratung effektiv zu nutzen. Kapitel 4 enthält einen Streifzug durch die Sprachphilosophie. Hier werden u. a. einige Kurzwenden in der Sprachphilosophie beschrieben und fünf pragmatische Perspektiven auf Sprache zusammengefasst. Kapitel 5 gibt eine Übersicht zu dem, was Hans Lieb „Klartext“ nennt, d. h. die möglichst klare Erfassung und Formulierung dessen, was gesagt wird und dann gegebenenfalls expliziter gesagt werden kann. Hier werden elf Klartextmerkmale benannt und durch eine Vielzahl an Beispielen illustriert. Zudem widmet sich ein Abschnitt der Indikation und Kontraindikation von Klartext.
Teil II des Buches enthält eine Ausdifferenzierung der in Kapitel fünf vorgestellten Normen und Merkmale von Klartext. Vorgestellt werden jeweils exemplarische Beispiele, kurze theoretische Erläuterungen, praktische Übungen und Selbstreflexionsmöglichkeiten. Die einzelnen Darstellungen folgen in der Regel einer identischen Struktur: es werden Texte vorgestellt, es schließen sich kurze theoretische Kommentare an, Fallbeispiele werden präsentiert und im Anschluss daran Übungen zu Praxis und zur Selbstreflexion angeboten. Inhaltlich geht es im praktischen Teil des Buches zunächst um elf Beispiele und Übungen aus den Bereichen Hören, Hinhören und Nachfragen. Ziel ist es, beim Sprecher bestimmte Sprachfiguren zu identifizieren, zu erkennen und nachzufragen – und damit schon kleine Interventionen zu leisten. Im Anschluss folgen Anregungen dazu, wie sich beim Fragenstellen mehr Klartext verwenden lässt – durch die Formulierung klarer Fragen, durch eine wechselseitige Transformation von Fragen und Aussagen sowie durch eine angemessene Anschlusskommunikation. Schließlich wird der Blick auf die Sprecher:innen selbst gelenkt und hier geht es um Aspekte wie Hypothesentransparenz und wie man aus vagen Sätzen Klartext macht.
Im weiteren Verlauf beschäftigt sich Hans Lieb mit Kommunikationssystemen und Sprachspielen, wie sie erkannt werden und wie sie im weiteren Verlauf von Beratung und Therapie genutzt werden können. Eine Übung zur Logik von Anschlusskommunikation unterscheidet beispielsweise zwischen bejahenden und verneinen Kommunikationsanschlüssen. Schließlich sind die Beobachtung und der Umgang mit verletzenden und kränkenden Sprechakten sowie das Erkennen eigener Sprachspiele und sich daraus ergebende Musterunterbrechungen Thema. Abschließend wird auf die Frage eingegangen, wie über Sprache auch Machtkonstellationen und Positionierung aufrechterhalten werden – im Sinne einer Sensibilisierung für Sprache als symbolische Macht.
Ergänzt wird das eh schon umfangreiche Übungs- und Reflexionsmaterial um einen Downloadbereich, in dem zum einen neun weitere sprachrelevante Themen in derselben Weise behandelt werden, wie es im Buch geschieht. Zum anderen beinhaltet der Downloadbereich 16 Videos von Beratungssequenzen, mit denen Themen und Übungen aus dem Buch vertieft und veranschaulicht werden.
Insgesamt enthält das von Hans Lieb vorgestellte Arbeitsbuch und seine Ergänzungen einen riesigen Fundus sowohl an Anregungen, Beispielen und theoretischen Inputs als auch an praktischen Übungen und Angeboten zur Selbstreflexion. Dabei orientiert der Autor sich an einer spezifischen Konzeption des Sprechens und Hörens, dem Klartext. Ohne diesen a priori als besser oder schlechter gegenüber anderen Varianten anzusehen, beschreibt er damit eine Sprachnorm, an der man sich durchaus orientieren kann, ohne sie vollständig übernehmen zu müssen. Und selbst wenn man gar kein:e Anhänger:in von Klartext ist, wird die Fülle an Ideen nicht weniger. Hans Lieb regt die Leser:innen immer wieder dazu an, den Gebrauch des eigenen Werkzeugs Sprache zu reflektieren, neue Perspektiven auf die eigene „Sprachnorm“ zu generieren, die eigene Sprachwelt an der einen oder anderen Stelle zu erweitern und darüber Wahlfreiheit und eigene Handlungsmöglichkeiten zu erhöhen.

Andreas Klink (Essen)