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Nachruf Gesa Jürgens (*18.6.1944 † 3.5.2022)

Uns erreichte im Institut am 4. Mai die traurige Nachricht, dass am 3.5.2022 unser frühere Kollegin Gesa Jürgens verstorben ist. Gesa gehörte mit zur Gründergeneration des IF Weinheim und hat zwischen 1975 und 2008 mit ihrem Wissen als Familientherapeutin und Dozentin, ihrem unverwechselbaren Gespür für heilsame Prozesse und großem Vertrauen in Menschen und die Kraft der Begegnung wesentliche Grundlagen unserer Weiterbildungen und der ‚Weinheimer Didaktik‘ mit etabliert und dabei hunderte Teilnehmer:innen in ihrer Entwicklung begleitet.

Ihrem Psychologiestudium folgten erste Jahre eigener therapeutischer Praxis und weitere Ausbildungen, z. B. zur Gestalttherapeutin, sowie eine Zeit als Hochschulassistentin am Psychologischen Institut der Universität Hamburg. Ihre Entwicklung als systemische Familientherapeutin stand dann in den 70er Jahren in direkter Verbindung mit dem kollegialen Zusammenschluss von Kolleginnen und Kollegen und der Gründung des Weinheimer Instituts auf Initiative von Maria Bosch.

Unter den Begegnungen mit einigen damals schon sehr bekannten Familientherapeut:innen zählte Gesa die Seminare mit Virginia Satir zu den ihre Arbeitsweise nachhaltig prägenden Erfahrungen. Als Teilnehmende einer von Virginia Satir geleiteten Ausbildungsgruppe lernte Gesa auch ihre späteren Kolleginnen und Kollegen am Weinheimer Institut kennen. Virginias damals noch sehr ungewöhnlichen Arbeitsweisen, z.B. mit Familienskulpturen, und ihre ermutigenden wie unkonventionellen Formen der Lehre und Didaktik sowie das in der Arbeit spürbare humanistische Menschenbild – das alles traf bei Gesa auf starkes Interesse und sie fühlte sich gleichermaßen ‚angestachelt‘, aus all dem ihren eigenen Stil zu entwickeln. Gern erzählte sie die Geschichte, in der sie auf einer Veranstaltung mit Virginia Satir einmal vor großem Publikum geäußert habe, dass sie Virginas Arbeit sehr schätze, viel gelernt habe, aber sicher auch einiges anders sehen und anders machen würde, weil sie eben ein anderer Mensch sei.

Ihr unermüdliches fachliches und politisches Engagement mündete in vielerlei Initiativen, die den Boden für den Einzug der Familientherapie und die Vernetzung der in Deutschland tätigen Familientherapeuten mit bereiteten. Ihr besonderes Interesse galt dabei sowohl fachlich wie politisch der Auseinandersetzung mit den Auswirkungen der Zeit des Nationalsozialismus, frauenspezifischen Themen sowie multikulturellem Zusammenleben von Menschen in Familien und Gemeinschaften. Bereits in den 80er Jahren entwickelte sie zusammen mit Mohammed El Hachimi und Arist v. Schlippe ein spezielles Curriculum mit multikulturellem Fokus in der Ausbildung von Familientherapeut: innen. Das gemeinsame Lernen mit den Teilnehmenden dieser Gruppen, u. a. auch an verschiedenen Orten in Marokko, bezeichnete sie immer wieder für sich als von unschätzbarem Wert, gerade weil sie sich selbst dabei als Lernende verstand. 2003 fanden diese Erfahrungen und die im Curriculum entwickelten spezifischen therapeutischen Zugänge in diesem Feld Eingang in das Buch „Multikulturelle systemische Praxis“ (Arist v. Schlippe, Mohammed El Hachimi, Gesa Jürgens, Carl-Auer Verlag).

Bis zuletzt wurde sie nicht müde, sich den Erfahrungen von Menschen in totalitären Systemen zuzuwenden, sich einzumischen, nach Wegen der Transformation zu suchen und sich für öffnende und begegnungsorientierte Prozesse zu engagieren. So war es für sie folgerichtig und konsequent, sich seit dem Fall der Mauer 1989 für die Transformationsprozesse zwischen Ost- und Westdeutschland in unterschiedlichster politischer und fachlicher Weise zu engagieren. Speziell unter diesem Aspekt entstanden (ab 2001) mit Prof. Dr. Ursula Pfäfflin in Dresden entwickelte Ausbildungsgänge. Den Kolleginnen und Kollegen der zweiten und dritten Generation von Dozentinnen und Dozenten an unserem Institut war Gesa in den 33 Jahren ihrer Teammitgliedschaft eine verlässlich unterstützende Kollegin. Im Laufe der Jahre empfanden das viele auch ein bisschen wie eine ‚Instanz zum Anfassen‘. Nicht nur, dass man oft nicht um sie herumkam. Gesa ging auf Menschen zu, mischte sich auf ihre unverwechselbare und gern auch unkonventionelle Art ein!

Die meisten der vierten Generation Weinheimer Dozent:innen kennen Gesa nicht mehr aus tatsächlichen Begegnungen. Als ‚Vorfahrin‘ lebt sie weiter in unseren Erzählungen, in kleinen Verweisen auf durch sie inspirierte und weiterentwickelte Arbeitsweisen. In unserer nunmehr 47-jährigen Institutsgeschichte hat Gesa einen ehrenvollen Platz und sie hinterlässt nachhaltige Spuren. Wir sind sehr dankbar für dieses Erbe und halten sie auch über ihren Tod hinaus in ehrendem Gedenken.

Cornelia Hennecke

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