Liebe Leser*innen,
mit dem Fachtag „Zuversicht und Zumutung“ hat das IF Weinheim gerade eben seinen 50. Geburtstag gefeiert. Vor Ihnen und euch liegt die 115. Ausgabe der systhema und mit dieser zweiten Ausgabe des Jahres kehren wir ein wenig zurück zu den Wurzeln der Institutszeitschrift. In ihrem gemeinsamen Rückblick auf die Gründerjahre der systhema heben Arist von Schlippe, Haja Molter, Herbert Buchta und Wolfgang Loth in der 100. Ausgabe hervor, dass es in der systhema von Anfang an um eine Förderung des wissenschaftlichen systemtheoretischen Diskurses und um eine Symbiose von Theorie und Praxis gegangen ist. Und eine der wesentlichen Ideen war und ist es, dass die Schwelle für die Einreichung von Beiträgen in einer solchen Weise „niedrig“ bleiben sollte, dass sich auch die Seminarteilnehmer* innen zu Beiträgen eingeladen fühlten und so manche Abschlussarbeit ebenso ihren Weg in die Institutszeitschrift finden konnte wie Erfahrungsberichte, in denen der systemischen Praxis eine breite Plattform geboten wurde (vgl. Klink, von Schlippe, Molter, Buchta und Loth, 20201).
Genau eine solche Einladung habe ich im Vorfeld dieser Ausgabe an Weiterbildungsteilnehmer* innen und junge Kolleginnen in meinem Umfeld ausgesprochen. So sind fast ausschließlich Beiträge zusammengekommen, die auf Abschlussarbeiten der Weinheimer Weiterbildungen, Bacherlor- oder Masterarbeiten und neuen Projektideen beruhen. Daniel Craffonara beschreibt und reflektiert die Überarbeitung eines Leitfadens zur Gestaltung von jährlichen Gesprächen mit Mitarbeiterinnen. Dabei soll die neue Version dazu beitragen, dass die Gespräche systemischer gestaltet und der strukturierte Austausch zwischen Mitarbeitenden und Führungskräften intensiviert werden. Silvia Ellwanger, Birgit Marschall-Littwin und Paula Muthig stellen ein Gruppenangebot im Kontext von häuslicher Gewalt vor, das vor allem auf den Kinderschutz der im Haushalt lebenden Kinder fokussiert. Schwerpunkt ist das Ziel, dass die teilnehmenden Mütter und Väter ihre Kinder stärker in den Blick nehmen und ihnen nach dem Erleben von häuslicher Gewalt erneut Stabilität und Sicherheit vermitteln.
In dem Beitrag von Nicole Hölker geht es um ein Kursangebot zur Trauerbegleitung von Angehörigen von Menschen mit Demenz. Der Kurs bietet einen passenden Rahmen für eine Auseinandersetzung mit der Demenz eines Angehörigen und den damit verbundenen persönlichen Gefühlen und Unterstützungsbedarfen. Leveke Durst zeigt Möglichkeiten auf, wie Fachkräfte der sozialen Arbeit Musik selbstständig in ihren Alltag integrieren können, um die positiven Effekte von Musik präventiv zum Schutz vor Überlastungen zu nutzen. Dazu hat sie u. a. eine Website mit entsprechenden Tipps, Übungen und Musikbeispielen gestaltet.
Galip Özdemir befasst sich mit der von ihm entwickelten Softwarelösung neoscript.ai als Beispiel für die Digitalisierung therapeutischer und beraterischer Arbeitsabläufe. Er zeigt auf, wie automatisierte Dokumentations- und Verwaltungsprozesse nicht nur administrative Entlastung bieten, sondern auch die Qualität des Klienten*innenkontakts verbessern können, und diskutiert Potenziale und Herausforderungen der Software im Kontext systemischer Arbeit. Selma Haupt stellt das Spiel „Point of View“ vor und erläutert, wie es sich in Ausbildungskontexten einsetzen lässt, um Perspektivwechsel zu ermöglichen und zu erlernen. Dabei diskutiert sie zudem Chancen und Grenzen der Integration von Brettspielen in systemischen Ausbildungskontexten.
Katja Knigge-Spötter berichtet in ihrem Beitrag über die Implementierung einer Streitschlichtungsgruppe in der 7. Jahrgangsstufe einer weiterführenden Schule. Sie reflektiert die Einbindung der Gruppe in das System Schule und sich daraus ergebende Herausforderungen in der praktischen Umsetzung der Streitschlichtung. Sven Witte widmet sich möglichen Erwartungen an die Kommunikation von Führungskräften und an deren dialogische Kompetenzen. Er beschreibt Haltungen und Faktoren aus der personzentrierten Gesprächsführung, aus dem Konzept Empowerment und aus systemischen Ansätzen, von denen sich hilfreiche Anregungen für positive Rahmenbedingungen für Kommunikation als Führungsinstrument in Organisationen ableiten lassen. Jens Lang beschäftigt sich schließlich mit dem Konzept der Regenerativen Führung, das auf sich selbst und auf die Umwelt bezogene Aspekte von Nachhaltigkeit miteinander verbindet. Er beschreibt konkrete Maßnahmen, wie Regenerative Führung in der Praxis verankert werden kann.
Auch in dieser Ausgabe gibt es anlässlich des 50. Geburtstags des IF Weinheim einen Blick in den Rückspiegel. Dieses Mal habe ich mich für einen Beitrag von Haja Molter und Arist von Schlippe zum Weinheimer Modell der Familientherapie entschieden, der zuerst vor 34 Jahren in der systhema erschienen ist.2 Das zweite Heft des Jahres 1991 war die insgesamt 13. Ausgabe der Institutszeitschrift und beinhaltete u. a. zwei Beiträge über das Weinheimer Ausbildungsmodell. Der hier erneut abgedruckte Artikel beruht auf einem Arbeitspapier von Haja Molter und Arist von Schlippe, zu dem beide auf dem Krakauer Kongreß für Familientherapie 1990 einen Workshop angeboten haben. Der Originalbeitrag liegt bisher nicht als PDF-Version vor – allerdings wurde 2007 anlässlich des 32-jährigen Institutsjubiläums in der systhema eine erweiterte Version veröffentlicht, die im Internet frei verfügbar ist.3 Ein besonderer Charme des Originalbeitrags liegt aus meiner Sicht darin, zu sehen, wie das Weinheimer Institut bereits im Alter von 16 Jahren wesentliche Fundamente für jene Haltungen und Herangehensweisen beschreibt, wie sie auch heute noch in der Weiterbildung am IFW gelebt werden – ohne heute dabei auf spannende und erkenntnisreiche Weiterentwicklungen zu verzichten.
Neben den genannten Beiträgen enthält diese systhema zudem einige Rezensionen und einen Bericht zum Maitreffen des Weinheimer Teams.
Ich wünsche Ihnen und euch eine anregende Lektüre und uns allen einen schönen Sommer und vor allem friedlichere Zeiten!
Andreas Klink
Anmerkungen
1) Klink, A., Schlippe, A. v., Molter, H., Buchta, H. und Loth, W. (2020). 100 Mal systhema oder die Liebe zwischen Wespe und Orchidee. systhema 34(2), S. 214-232.
2) Molter, H., Schlippe, A. v. (1991). Das Weinheimer Modell der Familientherapie – ein Modell der Vielfalt. systhema 5(1), S. 14-16.
3) Molter, H., Schlippe, A. v. (2007). Vielfalt statt Einfalt. Eine kurze Beschreibung des Weinheimer Modells der Systemischen Therapie und Beratung, systhema 21(2), S. 141-145.